Kaspisches Geduldsspiel

Baku liegt endlich hinter uns, ihr werdet es kaum glauben. An Bord eines turkmenischen Schiffs, der Bagtyyar, haben wir am 5. August im Sea Port Baku Richtung Turkmenbashi abgelegt.

 

Das gesamte Ausschiffen war eine unglaubliche Odyssee, die uns ans Ende unserer Geduld gebracht hat: Bereits am Mittwoch dem 2. August sind wir spätabends in Baku angekommen woraufhin wir am nächsten Morgen schnurstracks in den Hafen gefahren sind, um uns zu registrieren. Den ganzen Donnerstag haben wir dann alles bürokratische erledigt. Erst am Freitagnachmittag haben sich dann langsam die Zeichen verdichtet, dass am Abend tatsächlich eine Fähre Baku anlaufen soll. Angelegt hat diese dann tatsächlich um ca. 20.00 Uhr, woraufhin erstmal sehr langsam ihre Ladung gelöscht wurde. Erst um 03.00 Uhr morgens haben wir uns dann in Bewegung setzen können, um aufzufahren.

 

Fahrzeugcheck und Passkontrolle haben aufgrund eines vollkommen ineffizienten Systems bis 07.00 Uhr gedauert. Zu diesem Zeitpunkt haben wir schon wieder 24h im Hafen verbracht und es wäre ein leichtes gewesen das alles bereits lange vorm Auffahren zu erledigen. Leider war dem nicht so, und wir mussten uns bei der Passkontrolle mit turkmenischen und türkischen Fernfahrern matchen, damit wir auch mal drankommen. Mit Scherzen, viel Lächeln und kurzen Konversationen in Zeichensprache haben wir das auch hinbekommen, auch wenn wir schon wie Zombis ausgeschaut haben müssen. Abgewickelt wurden die knapp 70 Personen in der Warteschlange von einem Grenzbeamten, der seelenruhig mit seinem Einfingersystem alles in seinen Computer getippt und dabei immer wieder wohlwollend genickt hat.

 

Eines der anderen Rallyteams hat bei der Ausreise aber Probleme bekommen, weil sie einen armenischen Stempel im Pass hatten. Da Armenien und Aserbaidschan nach wie vor offen um Karabach kämpfen, werden Besucher des Nachbarlands vom jeweiligen Land nach wie vor beherzt abgelehnt, ein Grenzübertritt zwischen dein beiden Ländern bleibt ebenso gänzlich unmöglich.

Wie dem auch sei. Bereits todmüde haben wir es dann kurz nach sieben Uhr morgens tatsächlich auf die Fähre geschafft. Alle, die jemals ein Fahrzeug auf eine Fähre verbracht haben, würden staunen, was man in puncto Stauraum aus so einem Koloss rausholen kann. Die Einweiser auf den Unterdecks haben beim Einschlichten nicht nur ganze Arbeit geleistet und allen wartenden Fahrzeugen eine Überfahrt ermöglicht, sondern sich damit auch gleich für die heurige Tetris-Weltmeisterschaft qualifiziert. Geschlichtet wurde wirklich auf Teufel komm raus. LKWs, Autos und sogar zwei Motorräder standen Stoßstange an Stoßstange, oft quer oder hin und wieder sogar rückwärts geschlichtet im Bauch des Schiffs. Verrutschen konnte so nix. (Dementsprechend herausfordernd war es aber später nochmal was aus dem Auto zu holen. Der Weg muss dann über die Schlichtung gewählt werden, über Autos und LKWs drüber. Bei gefühlten 100 Grad Celsius im Unterdeck war ganz schön anstrengend.)

 

Einmal auf der Fähre, haben wir dann nochmal eine Steigerung der Ineffizienz beim Ticketkauf kennengelernt. Turkmenische Reisende und Fernfahrer haben sind auch hier noch mal ungeniert vorgedrängelt, mit dem Effekt, dass kurz bevor wir an der Reihe waren, vor uns alle Kabinen vergeben waren. Insgesamt sind wir dort nochmal zweieinhalb Stunden angestanden, bis wir endlich alles erledigt hatten. Das vor allem deshalb weil von den sechs Personen hinterm Schalter eigentlich nur eine gearbeitet hat, natürlich mit regelmäßigen Rauchpausen. Der Rest war mit ihren Handys beschäftigt.

 

Bis wir uns dann im Passagierraum der Bagtyyar auf den Fußboden legen könnten, um endlich todmüde einzuschlafen, haben wir über 50 Stunden (inklusive ganzer fünf Stunden Schlaf) mit Hafenbürokratie und Einschiffprozedere verbracht. ...und das reicht uns fürs erste mal. Abgefahren ist die Fähre dann um drei Uhr Nachmittags, ganze zwölf Stunden nachdem wir begonnen haben aufzufahren.

 

Die Überfahrt selbst haben wir dann fast ganz verschlafen (zwar sehr schlecht, aber immerhin ein paar Stunden Schlaf waren drinnen). Vor der Küste von Turkmenbashi wurden wir schließlich um sechs Uhr Früh durch die Ankerkette geweckt, die gelegt wurde, da wir warten mussten, bis der Hafen leer wird (nicht das viel los wäre). Angelegt haben wir erst Stunden später und das Auschecken auf der Bagtyyar war eine ähnliche Katastrophe wie tags zuvor das Einchecken. Es hat ewig gedauert und hinter der Rezeption haben die Angestellten nochmal alle Daten handschriftlich aufgenommen und - wie schon beim Einchecken - von allem Durchschriften und Kopien gemacht. Auch eine Unboarding-Gebühr wurde erhoben, die natürlich nicht gleich beim ersten Durchgang eingetrieben werden konnte - Auch hier hat man die Ineffizienz zur Regel erhoben. Letzten Endes haben wir dann um 16.30 Uhr mit Cookie von der Fähre abfahren können.

 

Ein bisserl entschädigt für diese Odyssee hat uns ein grandioser Sonnenuntergang über Aserbaidschan hinter unserem Heck und der Blick auf ein ruhiges Meer (mit aserbaidschanischen Öl- und Bohrplatformen) bei Tag und bei Nacht. Außerdem konnten wir uns diesmal auf unsren Rollmatten im Passagierraum mit Klimaanlage relativ gut erholen und hatten die Gelegenheit zur übergründlichen Katzenwäsche im Toilettenwaschbecken. Für einen Preis von 50 US$ pro Person plus 200 US$ für das Auto darf dann aber doch ein bisschen Luxus sein. :-)

Einreise auf turkmenisch

Direkt im Hafen wurden wir gleich zur turkmenischen Grenzkontrolle gebracht, wo es zuerst mal galt unser Visa zu ergattern, weil wir bis auf den Einladungsbrief ja noch keine Einreisedokumente hatten.

 

Was wir bei der turkmenischen Grenze erlebt haben ist einzigartig. In einem hochgradig abgeschotteten, restriktiven Staat mit einem massiven öffentlichen Sektor, wie eben in Turkmenistan, muss diese Arbeit erst mal geschaffenen werden. Im Fall der GrenzbeamtInnen können die turkmenischen Behörden auf folgenden ausgeklügelten Mechanismus zurückgreifen, der garantiert viele Arbeitsplätze schafft. Alles was wir folgend beschreiben haben wir genauso durchgemacht. Gedauert hat das ganze ca. von 18h abends bis 4h Früh am nächsten Tag:

  1. Abgabe Pass und Letter of Invitation
  2. Warten beim Fahrzeug
  3. Passrückgabe
  4. Betreten des Grenzgebäudes und nochmalige Passabgabe inklusive Gebühr von 69 US$ pro Person
  5. Passrückgabe mit Visa bereits eingeklebt
  6. 1. Schalter: Smalltalk und Fingerprints
  7. persönlicher Sicherheitscheck
  8. Ausfüllen eines Zollformulars
  9. 2. Schalter: Berechnung der Einreisekosten für das Fahrzeug bestehend aus Fahrzeugdesinfektionsgebühr (was nie geschehen ist), Einreise- und Transitgebühren, Kraftstoffgebühr (bezieht sich auf Anzahl der km der Transitroute), Brückenbenützungsgebühr, Dokumentenbearbeitungsgebühr und Niederschrift der Fahrzeugdetails
  10. 3. Schalter: Verifikation der Gebührenberechnung und Niederschrift der Fahrzeugdetails
  11. 1. Kassa: Bezahlung der bisherigen Gebühren (154 US$) und einer Bearbeitungsgebühr von 4 US$
  12. 1. Zollschalter: Niederschrift der Fahrzeugdetails in zweifacher Ausfertigung und Kopie derselben
  13. 2. Zollschalter: Verifikation der beim 1. Zollschalter ausgehändigten Fomulare
  14. zweites Mal 1. Zollschalter: Abgabe der Formulare
  15. Warten beim Fahrzeug
  16. 1. Parkgebührschalter: Aushändigen eines kleinen Zettels für die Einzahlung der Grenzparkgebühr und Niederschrift der Fahrzeugdetails
  17. 2. Parkgebührschalter: Abschrift des beim 1. Parkgebührschalters ausgehändigten Zettels auf einen größeren
  18. zweites Mal 1. Kassa: Einzahlen einer Parkgebühr von 12 US$ und einer Bearbeitungsgebühr von 4 US$
  19. zweites Mal 2. Parkgebürschalter: Einzahlen von einer Bearbeitungsgebühr von 4 Turkmenischen Manat ( was ein Problem ist, weil niemand - nicht mal der offizielle Wechselschalter nebenan - irgendeine Währung auf Manat wechselt. Deshalb raus zu den schlafenden Fernfahrern und illegal US$ in Manat tauschen. Danach zurück und Beabeitungsebühr bezahlen.
  20. Warten beim Fahrzeug
  21. (Glücklicherweise) Halbherzige Fahrzeugkontrolle (wohl, weil es bereits vier Uhr Morgens war)

Wir können euch sagen, dass wir im Grenzgebäude zu Zeiten das Gefühl hatten von einer versteckten Kamera gefilmt zu werden. Es war alles so unglaublich surreal, irgendwo zwischen Comedy und morbidem Wahnsinn: das dutzendfache Abschreiben der selben Details auf mehrfache Durchschriftsblöcke, die Hingabe der Beamten, die dabei keine Miene verzogen haben, dieses vollkommen unsinnige und hochbürokratische System der Zettelproduktion. Obwohl man sich wie ein Stählerner Rohling fühlt, der durch eine Produktionsstraße gepresst wird an deren Ende das fertige Produkt rauskommt, findet man das Prozedere dermaßen absurd, dass man oft nicht anders kann als herzhaft lachen. Wirklich einfach herzhaft lachen.

 

Von dem Zeitpunkt an dem wir Cookie in den Hafen von Baku gestellt haben bis zu dem Zeitpunkt, an dem unsere Reifen turkmenische Straßen berührt haben sind ganze 101 Stunden vergangen. Jede Bürokratie der Welt erblasst vor Neid und verbeugt sich vor dieser grandiosen aserbaidschanisch-turkmenischen Koproduktion.

 

In Anbetracht dieser Performance können wir nun mit einer soliden Sicherheit sagen, dass das wohl unser einziges Fährerlebnis am Kaspischen Meer bleiben dürfte. Wir hatten unseren Spaß dran und dabei wollen wir es belassen. Keine Fähre über das Kaspische Meer mehr für uns. Euch allen raten wir dasselbe.

 

So ... endlich in Turkmenistan, einem der restriktivsten Staaten der Welt. Soweit so gut.

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Kommentare: 2
  • #1

    Michael (Donnerstag, 10 August 2017 15:14)

    Unglaublich! Aber spannend geschrieben! Alles Gute!

  • #2

    CoBold (Freitag, 11 August 2017 03:25)

    Schritt 17 ist mein Lieblingsschritt :)